Zwischen Abhängigkeit, Vergnügen und freudvolles Leben

Trinken ist heute sozial erwünscht, führt sogar zum Rechtfertigungszwang. Wir trinken heute viermal mehr als in den fünfziger Jahren. Abhängigkeit ist eine Krankheit, die einen glauben lässt, dass man sie nicht hat! Schreiber, 2015

 

In der Praxis bekommen wir immer wieder von unseren KlientInnen zu hören, dass nach einer gewissen Zeit der Abstinenz wieder zu einem sporadischen Trinkverhalten zurückgekehrt werden kann. Leider lehrt uns hier das berühmte Suchtgedächtnis etwas völlig anderes. Nämlich, dass Abhängigkeit eine neurologische Krankheit ist. Das Gehirn ist durch das jahrelange Konsumieren umprogrammiert worden und das Gehirn wird sich immer wieder daran erinnern, wie es das Suchtmittel benützt hat. Als Beispiel kann auch das Fahrradfahren genannt werden, es wird nie verlernt. 

 

Für Abhängige ist jedoch meistens nicht leicht, den ersten Schritt direkt selbstbestimmend zu gehen. Es braucht Hilfe von außen, die Abhängigen Selbstbestimmung wieder ermöglicht. 

 

Der erste Schritt aus der Abhängigkeit beginnt mit dem sich Eingestehen der Suchtproblematik und mit der Einsicht, dass dies eine Erkrankung ist, die ein Leben lang bleiben wird. Ebenso braucht es die Erkenntnis, dass der „Freund Alkohol“, der einen sehr lange begleitet hat, ein Nervengift ist, der langsam jedoch gewiss einen zerstören wird. 

 

Das Ziel in der heutigen Entwöhnungstherapie sollte nicht nur die ausschließliche Fokussierung auf die Abstinenz sein, sondern die in der Erreichung eines möglichst autonomen und freudvollen Lebens. 

 

Doch was genau ist ein freudvolles Leben? Erich Fromm unterschied zwischen Freude und Vergnügen. Seine Gedanken möchte ich kurz erläutern:

 

Die Unterscheidung zwischen Freude und Vergnügen ist wesentlich, speziell in Bezug auf die Existenzweise des Habens und des Seins. Er meint, dass der Unterschied nicht leicht zu verstehen sei, da wir in einer Welt „freudlosen Vergnügens“ leben. Im üblichen Sprachgebrauch könnte man Vergnügen am besten mit der  Befriedigung eines Verlangens definieren, zu der es nicht unbedingt die Aktivität (Lebendigkeit) bedarf. Zum Bespiel das Vergnügen den Lottojackpot zu knacken, mehr Geld zu verdienen, nach Herzenslust zu essen, was man möchte, sexuelle Vergnügen, aber auch das Vergnügen einen euphorischen Zustand durch Alkohol oder Drogen entstehen zu lassen. 

 

„Freude ist eine Begleiterscheinung produktiven Tätigseins. Sie ist kein „Gipfelerlebnis“, das kulminiert und abrupt endet, sondern ist eher vergleichbar mit einem Plateau, einem emotionalen Zustand, der die produktive Entfaltung der eigenen Fähigkeiten begleitet. Freude ist nicht die Ekstase, das Feuer des Augenblicks, sondern die Glut, die dem Sein innewohnt. Vergnügen und Nervenkitzel hinterlassen ein Gefühl der Traurigkeit, wenn der Höhepunkt überschritten ist. Denn die Erregung wurde ausgekostet, aber das Gefäß ist nicht gewachsen.“ 

 

Konsumieren kann auch als eine Form des Habens angesehen werden, vielleicht ist dies auch die wichtigste Form in unserer heutigen „Überflussgesellschaft“. Erich Fromm meint, dass der moderne Konsument sich mit der Formel: „Ich bin, was ich habe und was ich konsumiere“, identifizieren könnte! Das Konsumieren könne man als etwas Zweideutiges sehen. Einerseits vermindert es die Angst, weil das Konsumieren einem nicht weggenommen werden kann, aber andererseits zwingt es einen, immer mehr zu konsumieren, denn das einmalige Konsumieren hört schnell auf einen zu befriedigen. 

 

„… der Konsument ist der ewige Säugling, der nach der Flasche schreit.“ 

 

Der Abhängige erzeugt sich eine künstliche Scheinwelt, in der er sich mit ‚Sinnestäuschungen‘ begnügt. An den echten Werten und Sinnaufgaben ihres Lebens wird blindlings vorbeigegangen. Ein ‚Schein‘ wird dem ‚Sein‘ vorgezogen. Es wird entweder die Betäubung gesucht, um einen Schmerz wegzudrücken bzw. wird eine Leere gefüllt, indem man den Kick sucht. Somit ist entweder Not unüberwindbar oder Langeweile unerträglich geworden. 

 

Der seelisch stabile, gesunde Mensch strebt ursprünglich nicht nach Glück, sondern nach Sinn. In dem er sich einer faszinierenden Sache, einem selbstgesteckten Ziel, einem Werk oder einem geliebten Menschen zuwendet. So wird das eigene Dasein als sinnvoll und das Leben als lebenswert erlebt. Phasen des Unglücklichseins im Leben können somit auch tapfer ausgehalten werden, da derjenige im Wissen um das Trotzdem-Sinnhafte des eigenen Handelns und Wirken ist. 

 

 

Elisabeth Lukas schrieb analog dazu: „Auf die Alkoholproblematik bezogen bedeutet dies: Das Trockenbleiben ist kein Lebensinhalt, sondern die unabdingbare Voraussetzung zur Erfüllung eines Lebensinhaltes. Deshalb bleiben zuletzt diejenigen trocken, die um die Erfüllung eines solchen Lebensinhaltes ringen, und nicht diejenigen, die ums Trockenbleiben kämpfen.“ 

 

 

 

 

Samanta Petraskovic / 28. April 2018

 

Literatur

 

Fromm, E. (2001). Haben oder Sein. (30 Auflage). München: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG.

 

Lukas, E. (2012). Freiheit und Geborgenheit – Süchten entrinnen Urvertrauengewinnen. (3., erweiterte Auflage). München/ Wien: Profil Verlag GmbH. 

 

Schreiber, D. (2014). Nüchtern – Über das Trinken und das Glück. München: Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag.